Kapitel 14: Die Heimkehr

Die Sommerhitze lag wie eine sanfte Erinnerung über dem kleinen Städtchen, hüllte die Luft in Milde und ließ die Stunden langsamer vergehen. Als Margaret zurückkam, leuchteten die Felder golden und der Fluss glitzerte in der Nachmittagssonne. Die Rückfahrt fühlte sich diesmal anders an – leichter, freier –, als hätte die Straße selbst auf sie gewartet.
Der alte Mercedes summte leise, als er die vertraute Straße zu Evelyns Häuschen entlangrollte. Es war Monate her, seit Margaret das letzte Mal dort war, doch der Anblick des blauen Hauses zwischen den Weiden strahlte noch immer dieselbe Wärme aus. Sie parkte im Schatten, stellte den Motor ab und lauschte dem Zirpen der Zikaden in der Stille des Tages.
Auf der Veranda saß Evelyn, ein Strohhut verbarg ihr Gesicht, ein Buch auf dem Schoß. Als sie aufblickte und Margaret sah, strahlte sie über das ganze Gesicht.
„Na ja“, sagte sie mit freudiger Stimme, „ich dachte schon, du hättest uns vergessen.“
Margaret lachte leise. „Niemals.“
Sie stieg die Stufen hinauf und reichte Evelyn eine kleine Papiertüte. „Aus Kanada“, sagte sie. „Ahornbonbons. Vicky hat darauf bestanden.“
Evelyn kicherte, ihre Augen funkelten vor Zuneigung. „Vicky. Diese Frau hat ein Herz aus Honig und Feuer. Setz dich, setz dich – erzähl mir alles.“
Sie saßen zusammen auf der Veranda, die Sommerbrise trug den leichten Duft von Flieder herüber. Margaret erzählte ihr vom neuen Anstrich des Diners, davon, dass Vicky angefangen hatte, freitags lokale Musiker spielen zu lassen, und von dem Brief – wie Davids Gitarre immer noch den Raum mit Musik erfüllte. Evelyn hörte still zu, ihre Finger strichen über den Rand ihrer Teetasse. „Ich kann es fast hören“, sagte sie. „Früher hat er am Fluss gespielt, als wir Kinder waren. Ich habe gesummt, und er hat die Akkorde dazu gespielt. Er sagte, jeder Fluss habe seine eigene Melodie, und wenn man lange genug zuhört, kann man sie lernen.“
Margaret lächelte. „Er hat seinen Fluss gefunden, Evelyn. Und er hat sich an ihn erinnert.“
Evelyns Blick wurde weicher. „Ich glaube, du hast recht.“
Langsam stand sie auf und ging hinein. Einen Augenblick später kam sie mit der Holzkiste zurück, die Margaret ihr vor Monaten geschenkt hatte. Vorsichtig öffnete sie sie und enthüllte den geschnitzten Vogel, den Brief und eine kleine gepresste Blume.
„Ich habe sie hier aufbewahrt“, sagte sie mit leicht zitternder Stimme. „Aber ich habe nachgedacht … vielleicht ist es Zeit, sie ruhen zu lassen.“
Margaret nickte. „Du meinst, sie begraben?“
„Ja. An einem friedlichen Ort. An einem Ort, der ihm gefallen hätte.“ Margaret blickte zu dem Fluss, der gleich hinter dem Feld floss. „Dann glaube ich, ich kenne den Ort.“
Sie gingen gemeinsam zum Ufer. Die Nachmittagssonne stand tief und tauchte alles in goldenes Licht – das hohe Gras wiegte sich im Wind, die Weidenblätter schimmerten, die Oberfläche des Flusses glitzerte wie flüssiges Glas. Evelyn kniete sich hin und wischte ein paar Wildblumen beiseite, um ein kleines Stück Erde freizuräumen.
Margaret half ihr, die Schachtel ein letztes Mal zu öffnen. Der Duft von altem Holz und zartem Flieder lag in der Luft. Evelyn hob den geschnitzten Vogel hoch, ihre Hände zitterten leicht. „Er fühlt sich lebendig an“, flüsterte sie.
Margaret lächelte. „Vielleicht ist er es ja auch.“
Gemeinsam legten sie den Vogel, die Nachricht und die gepresste Blume in die Erde. Evelyn bedeckte sie sanft mit Erde, ihre Bewegungen waren zärtlich und andächtig. Als sie fertig war, setzte sie sich auf die Fersen, Tränen glänzten in ihren Augen, doch ein Lächeln lag auf ihren Lippen.
„So“, sagte sie leise. „Er ist zu Hause.“ Der Wind rauschte durch die Bäume und trug das leise Rascheln der Blätter mit sich – wie das sanfte Klingen einer Gitarre. Einen Moment lang schlossen beide Frauen die Augen und lauschten.
Als der Abend hereinbrach, saßen sie am Flussufer und beobachteten den Sonnenuntergang. Der Himmel färbte sich in Purpur- und Violetttöne, und die Welt wurde still. Glühwürmchen begannen zwischen dem Schilf zu blinken, winzige Sterne flackerten auf.
Evelyn durchbrach als Erste die Stille. „Weißt du“, sagte sie nachdenklich, „als David verschwand, habe ich immer geträumt, er käme in einem großen Auto zurück – vielleicht einem Cadillac oder einem Mercedes. Ist das nicht komisch?“
Margaret sah sie mit einem sanften Lächeln an. „Und vielleicht ist er es ja in gewisser Weise auch.“
Sie lachten beide, ihr Lachen vermischte sich mit dem Summen des Abends.
Später in dieser Nacht übernachtete Margaret im Gästezimmer. Sie konnte nicht schlafen. Die Luft war erfüllt vom Duft des Sommerregens, und das rhythmische Quaken der Frösche draußen wiegte sie in einen Halbschlaf.
Als sie schließlich einschlief, träumte sie von David.
Er stand barfuß am Fluss, die Gitarre über der Schulter. Sein Haar wiegte sich sanft im Wind, sein Gesichtsausdruck war friedlich. Er sagte nichts, doch als er sie ansah, strahlten seine Augen Dankbarkeit aus. Dann drehte er sich um und ging zum Wasser, der Mond wies ihm den Weg.
Margaret erwachte mit Tränen in den Augen, aber sie war nicht traurig. Der Traum hatte sich wie ein Abschied angefühlt – still, einfach und vollkommen.
Am Morgen machte Evelyn Pfannkuchen und Kaffee. Sonnenlicht strömte durchs Küchenfenster und glitzerte im Dampf der Tassen. Sie aßen eine Weile schweigend, das leise Klirren des Bestecks erfüllte die Luft.
Schließlich sagte Evelyn: „Weißt du, ich habe darüber nachgedacht, dieses Haus zu verkaufen.“ Margaret blinzelte überrascht. „Wirklich?“ Evelyn nickte. „Es ist Zeit. Es gibt zu viele Zimmer, zu viele Erinnerungen, die nicht mehr aufbewahrt werden müssen. Ich dachte, ich ziehe näher an den See – vielleicht sogar in die Nähe von St. Catharines. Ich würde gern sehen, wo er gewohnt hat. Und dieses Diner besuchen.“
Margaret lächelte warm. „Es würde dir dort gefallen. Und Vicky würde dich lieben.“
Evelyn grinste. „Dann ist es vielleicht beschlossen.“
Sie räumten das Geschirr weg und traten hinaus. Gemeinsam standen sie auf der Veranda. Die Welt schien vor Leben zu vibrieren – die Brise in den Bäumen, der Fluss in der Ferne, das sanfte Gurren der Trauertauben.
Margaret wandte sich ihrer Freundin zu. „Du läufst nicht weg, weißt du.“
Evelyn sah ihr in die Augen. „Er auch nicht.“
Bevor sie ging, ging Margaret noch einmal zum Flussufer. Die Erde, wo sie die Schachtel vergraben hatten, war glatt, nur ein kleines Gänseblümchenbüschel war über Nacht gewachsen. Sie kniete neben ihnen nieder, berührte die Blütenblätter und flüsterte: „Ruhe in Frieden, David.“
Dann stand sie auf, die Morgensonne wärmte ihr Gesicht, und sie ging zurück zum Auto.
Der Mercedes setzte sich mit einem leisen Schnurren in Bewegung, das Geräusch vermischte sich mit dem Rauschen des Flusses hinter ihr. Während sie die Straße entlangfuhr, warf sie einen letzten Blick in den Rückspiegel – das blaue Haus wurde immer kleiner, Evelyn stand in der Tür und winkte sanft, und der Fluss glitzerte wie ein silbernes Band, das sich durch die Felder schlängelte.
Margaret lächelte.
Das war kein Ende. Es war eine Rückkehr – nicht dorthin, wo alles begonnen hatte, sondern dorthin, wo es hingehörte.
Und als sich die Straße endlos und offen vor ihr ausbreitete, wurde ihr bewusst, dass das Auto nun zwei Geschichten getragen hatte: eine, die zu Ende gegangen war, und eine, die gerade erst begonnen hatte.
Der Wind, der durch das offene Fenster wehte, duftete nach Flieder und Sonnenlicht. Irgendwo in diesem Klang, leise, aber deutlich, glaubte sie das sanfte Zupfen einer Gitarre zu hören – das Echo eines Mannes, der seinen Frieden gefunden hatte, und der Frauen, die seine Geschichte nach Hause getragen hatten.