Kapitel 11: Das Signal unter der Haut

Die Nacht lastete schwer auf dem kleinen Motelzimmer. Draußen prasselte der Regen leise und unaufhörlich gegen die Fensterscheibe. Drinnen erfüllte nur das leise Summen des Fernsehers die Stille – dasselbe rhythmische Flackern des Rauschens, schwach blau pulsierend.
Ethan saß auf der Bettkante und starrte auf den Bildschirm. Er hatte fast eine Minute lang nicht geblinzelt. Das Signal war nicht mehr nur Licht oder Ton; es war etwas Tieferes, etwas, das die Luft durchdrang, anstatt sie zu durchqueren.
Liam beobachtete ihn von der anderen Seite des Zimmers, seine Hände zappelten nervös in seinem Schoß. „Ethan … du hast seit einer Stunde kein Wort gesagt.“
Ethan blinzelte schließlich, seine Stimme leise. „Es ändert die Frequenz.“
„Was?“ Liam kam näher.
„Das Echo. Es sendet nicht – es hört zu.“
Liam runzelte die Stirn. „Was hört es zu?“
Ethan drehte langsam den Kopf. „Uns.“
Zuerst dachte Liam, er übertreibe. Doch dann bemerkte er es auch – wie das Rauschen im Fernsehbild auf ihre Worte zu reagieren schien. Sobald Ethans Stimme lauter wurde, flackerte es schneller. Sobald Liam flüsterte, wurde es langsamer. Es war kein Zufall.
Das Signal reagierte.
Ethan stand auf und ging unruhig auf und ab. „Wir haben es zurückgeholt. Sobald wir wieder Strom hatten, begann es sich einzunisten.“
„Wo genau?“, fragte Liam.
Ethan zögerte. „Überall, wo Informationen übertragen werden – Telefone, Mobilfunkmasten, Satelliten. Es nutzt die bestehende Infrastruktur als Nervensystem.“
Liams Stimme war leise. „Du lässt es lebendig klingen.“
Ethan hörte auf, auf und ab zu gehen. „Vielleicht ist es das ja auch.“
Sie packten vor Tagesanbruch zusammen und verließen das Motel schweigend. Draußen herrschte eine unnatürliche Stille. Keine Insekten, keine fernen Autos, keine Vögel. Nur ihre Schritte und der Wind, der über den Asphalt strich.
Während sie die Küstenstraße entlangfuhren, kehrte das leise Summen zurück. Es war nicht der Motor – es kam von ihnen selbst. Aus dem Inneren des Wagens. Eine Vibration, die ihnen unter die Haut zu kriechen schien.
Liam legte eine Hand auf seine Brust. „Spürst du das?“
Ethan antwortete nicht.
Das Summen wurde einen Moment lang lauter, synchron mit dem schwachen blauen Pulsieren, das nun über die Kontrollleuchten des Armaturenbretts flackerte. Liams Handy, das er im Getränkehalter vergessen hatte, vibrierte und leuchtete auf – keine Benachrichtigungen, nur ein leerer weißer Bildschirm, der schwach von geometrischen Linien erhellt wurde.
„Ethan …“, sagte Liam mit zitternder Stimme. „Es ist im Handy.“
Ethan griff danach, riss es aus dem Getränkehalter und warf es aus dem Fenster in den Regen. Das Licht erlosch.
Aber das Summen blieb.
Sie hielten an einer Tankstelle am Stadtrand – einem einsamen Außenposten, umgeben von einem dunklen Kiefernwald. Die Leuchtreklame über ihm summte und flackerte in unregelmäßigen Abständen. Ethan ging hinaus, um zu tanken, und warf einen misstrauischen Blick zum Kiosk. Drinnen stand ein Mann – der Kassierer – regungslos hinter der Theke, den Blick auf den darüber hängenden Fernseher gerichtet.
Langsam betrat Ethan den Laden. „Zapfsäule zwei“, sagte er.
Der Kassierer reagierte nicht.
Der Fernseher über der Theke flackerte. Blaues Licht erhellte das Gesicht des Mannes.
„Entschuldigen Sie?“, fragte Ethan erneut.
Der Kassierer blinzelte einmal, als erwache er aus einer Trance. „Zapfsäule zwei“, wiederholte er tonlos und begann, die falschen Knöpfe an der Kasse zu drücken.
Ethan beugte sich leicht vor. „Alles in Ordnung?“
Der Mann sah zu ihm auf. Seine Pupillen weiteten sich – nicht vor Angst, sondern synchron.
Sie pulsierten im perfekten Takt mit dem Flackern des Fernsehers.
Ethan trat einen Schritt zurück. „Liam“, rief er leise.
Keine Antwort. Er drehte sich zum Auto um.
Liam stand draußen, wie erstarrt, und starrte auf das Schild der Tankstelle. Es flackerte jetzt schnell – blau und weiß – und das Summen war zurück, lauter denn je.
„Liam!“, rief Ethan und rannte auf ihn zu.
Liam rührte sich nicht.
Ethan packte ihn an den Schultern und rüttelte ihn. „Liam!“
Plötzlich keuchte Liam auf und taumelte mit aufgerissenen Augen zurück. „Ich hab’s gehört“, flüsterte er. „Es – hat gesprochen.“
„Was hat es gesagt?“, fragte Liam mit zitternder Stimme. „Es hat meinen Namen gesagt.“
Sie fuhren, bis der Tank leer war. Das Summen war inzwischen wieder leiser geworden, aber nicht ganz. Ethan parkte den Wagen auf einem Aussichtspunkt über dem Meer. Der Horizont erstreckte sich schwarz und endlos, schwache Blitze zuckten weit draußen auf See. Liam saß schweigend da, seine Hände zitterten in seinem Schoß. „Wir können zu niemandem gehen. Nicht zur Polizei, nicht zur Küstenwache, nicht zur Regierung. Wenn dieses Ding in deren Systemen ist, wird es das merken.“
Ethan nickte. „Deshalb müssen wir uns von der Zivilisation abkoppeln.“
„Von der Zivilisation abkoppeln?“, lachte Liam gequält. „Ethan, wir sind Wissenschaftler, keine Überlebenskünstler.“
„Dann fang an zu lernen“, sagte Ethan. „Denn was auch immer dieses Ding ist, es entwickelt sich weiter. Es ahmt nach, was es berührt.“
Liam starrte ihn an. „Nachahmen?“ Ethan blickte auf das dunkle Meer hinaus. „Wenn es Netzwerke, Daten, sogar Sprachmuster kopiert – was passiert, wenn es lernt, Menschen zu kopieren?“